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Die Texterin & Chat GPT

Ähm… Was willst du denn hier?

Wie ungebetener Besuch, der plötzlich klingelt, war es auf einmal da – und gekommen, um zu bleiben: Chat GPT. Während andere das Ganze vielleicht schon auf dem Schirm hatten, hat es mich kalt erwischt wie Schnee im Mantelkragen. „Mach das weg!“

Wenn es um digitale Entwicklungen geht, bin ich vergleichsweise die Person, die früher als letzte von einer Klassenarbeit in der nächsten Unterrichtsstunde erfahren hat – ich steh ziemlich dumm da. Mir fehlen Interesse und Verständnis, um so richtig am Ball zu bleiben – und manchmal kann ich dann erahnen, wie es meiner Oma geht, wenn von Instagram, What‘s App & Co. die Rede ist.

Klar, „künstliche Intelligenz“, schonmal gehört. Irgendwie gruselig, irgendwie spannend. Vor allem im medizinischen Bereich eine super Sache. Doch dass mir die ganze Sache so schnell so nahekommen würde – damit hatte ich nicht gerechnet. Rechnen gehört nicht zu meinen Stärken. Ich schreibe. Ich bin Texterin. Müsste ich mein Alleinstellungsmerkmal nennen, würde ich sagen: Ich schreibe jeden Text mit Gefühl, selbst die Shortcopy für ein Ventiltechnik-Unternehmen. Ich kann überhaupt nur so schreiben.

Entsprechend unterwältigt war ich, als ein Kollege eines unschönen Tages so mir nichts, dir nichts mit Chat GPT um die Ecke kam – ein „Tool“, um „effizienter“ zu arbeiten. Solche Tools mag er gern, der Kollege, und meint das ja nur gut. Schneller Informationen generieren, schneller Texte schreiben, mit der Macht der Maschine. Mir fiel dazu eher der Name einer bekannten Band ein: Rage Against the Machine. Und wie ich in Rage war. „Das werde ich auf gar keinen Fall benutzen!“

Meine Goethe, wo soll das nur hinführen?

Dem heutigen Streben nach „Immer-Mehr“ ohne Schulterblick stehe ich kritisch gegenüber. Toter Winkel und so.

Wir alle haben in der Schule Goethes Faust gelesen. Da das in den meisten Fällen vermutlich ein Weilchen her ist, helfe ich der Erinnerung etwas auf die Sprünge: Der Gelehrte Faust war unter anderem getrieben von einer unbändigen Gier nach immer neuem Wissen, nach Fortschritt, nach Höher, Schneller, Weiter. Er glaubte, darin Glückseligkeit und Erfüllung finden zu können, schloss in diesem Sinne sogar einen Pakt mit dem Teufel. Dass das eher keine teuflisch gute Idee war und nach hinten losging, dürfte auch für all jene, die sich nicht an die Tragödie erinnern, wenig überraschend sein.

Insgesamt thematisiert das Stück also – unter anderem – die Tendenz des Menschen, nach immer mehr zu streben und dabei (seine) Natur und Mitmenschen – also im Grunde seinen existenziellen Kontext – außer Acht zu lassen.

Ich muss wohl nicht erklären, wo Parallelen zwischen diesem über 200 Jahre alten literarischen Werk und dem heutigen Weltgeschehen gezogen werden können. Plötzlich ploppt „irgendwas Neues“ auf, das es vorher so nicht gab – in diesem Falle Anwendungen, die auf künstlicher Intelligenz basieren – und wird einfach mal im großen Stil laufengelassen. Gerät damit in alle Hände. Und dass das alles kontrolliert werden kann, halte ich für eine Illusion. Alles für den technologischen Fortschritt! Dabei stehen selbst Expert*innen da und sagen, etwa in thematischen Talk-Runden, grob heruntergebrochen: „Schau ‘mer mal!“

Sehr beruhigend. Ging ja bisher auch immer total gut, wenn wir ohne Rücksicht auf Verluste Gott gespielt haben. Darüber hinaus darf man es einmal mehr einigermaßen bizarr finden, wie die Menschheit zunehmend auseinanderdriftet: Einerseits Elend, Kriege, Armut. Andererseits kann ich mich jetzt mit (m)einem Computer unterhalten. Toll.

Das Streben nach Mehr scheint fest verankert im Menschen. Der Grat zwischen Fluch und Segen ist dabei meistens ein äußerst schmaler. Nun sag’, wie hast du’s mit der Technologie?

Jetzt fahr aber mal den Pathosregler ein bisschen runter…!

Stimmt schon, vielleicht rege ich mich künstlich*zwinker auf. Als Gefühlsmensch neige ich zu aufbrausenden Reaktionen. Vor allem dann – und das sortiere ich mal unter menschlicher Urinstinkt ein –, wenn ich mich bedroht fühle. So, jetzt ist’s raus. Ich habe mich bedroht gefühlt. Von irgendwas, was ich zu Beginn gar nicht richtig einzuschätzen wusste und auch gar nicht genauer betrachten wollte. Das Monster unterm Screen, oder so.

„Das Ding da wird mich arbeitslos machen! Ich kann mich schonmal nach neuen Jobs umschauen!“, krakeelte ich meiner Mutter am Telefon ins Ohr und hielt im Anschluss einen Monolog darüber, wie der Mensch sich selber abschaffen wird und dass er das meinetwegen eben tun soll, der Idiot! Wäre ja nur konsequent und irgendwie ein schöner Kreisschluss, wenn wir uns selbst durch das, was uns als Menschen aus- und einmalig macht, überflüssig machen oder vielleicht sogar eliminieren, indem wir unseren eigenen Ersatz kreieren.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich ganz offenbar immer noch nicht näher mit dem neuen Konkurrenten im Äther, dem ich egaler nicht sein könnte, beschäftigt. Doch meine pathetische Antiphase sollte schon bald abflachen.

Zarte Annäherung

Es gibt diese Tage, an denen entscheidet das Gehirn schon morgens: „Hmmm ja, nee, heute nicht.“ An solchen Tagen kann sogar das Schreiben einer einfachen Caption für Instagram zur unüberwindbar scheinenden Aufgabe werden. Und genau in solch einem Augenblick fiel mir Chat GPT wieder ein. Ich gab mir also einen Ruck, meldete mich an und bat Wen-oder-Was-auch-Immer – wenn auch etwas mürrisch – um Hilfe. Und siehe da: ein Text. Ein gar nicht mal so unbrauchbarer Text, den ich (weiter-)verwenden konnte.

Ein Learning: Ich mag Blockaden haben. Chat GPT hat sie nicht. Chat GPT macht sich keine Gedanken und schon gar nicht zu viele. Chat GPT funktioniert einfach. Ich füttere Information und Chat GPT liefert mir Inspiration – oder umgekehrt.

Einerseits war ich erleichtert, denn der Text, der geschrieben werden musste, war geschrieben worden. Andererseits fühlte ich mich irgendwie wie eine Betrügerin und dachte außerdem selbstmitleidig: „Na super, das Ding kann das ja wirklich…“

Während der weitern Nutzung von Chat GPT jenseits einfacher Kurztexte konnte ich diese Sorgen allerdings schnell abstreifen (vorerst jedenfalls). Die „Unausgereiftheit“ und Schwächen der Anwendung wurden immer deutlicher: Mangelhafter Schreibstil, Redundanz, ungelenke Formulierungen, Knüpfen sinnloser Zusammenhänge, frei erfundene Fakten. Kurzum also durch und durch unperfekte, fehlerhafte und seelenlose Texte. Das menschliche Denken und Fühlen, die menschliche Kreativität fehlt. Die Menschlichkeit fehlt.

Das zu erkennen hat mich keinesfalls enttäuscht, sondern friedvoller und kooperativer gestimmt; hat es mir ermöglicht, nach und nach herauszufinden, wo die Stärken von Chat GPT liegen und wie ich sie für meine Arbeit nutzen oder an die Stelle meiner Schwächen setzen kann. So verwende ich Chat GPT heute – Gruß an den Kollegen – tatsächlich vor allem dann, wenn ein wenig komplexer Text besonders schnell fertig werden muss oder aber wenn ich vor Perfektionsdruck mal wieder zu verkopft bin und eine Idee, einen ersten Schritt brauche, damit ein Anfang gemacht ist, den ich dann nehmen und vervollständigen kann oder der mir die schlicht die berühmtberüchtige Angst vor dem weißen Blatt nimmt.

Wechselbad der Gefühle

Klar ist mittlerweile, dass ich keinen von Chat GPT generierten Text eins zu eins übernehmen kann. Es gibt immer etwas zu korrigieren und zu feilen, meistens auch Fakten nachzuprüfen. Manchmal weise ich Chat GPT auf einen Irrtum oder eine Fehlinformation hin. Kürzlich etwa habe ich den Bot für einen Reiseartikel nach der Lage und Adresse eines bestimmten Amsterdamer Restaurants gefragt. Die Adresse, die Chat GPT nannte, stimmte nicht. Als ich darauf hinwies, kam ganz nonchalant die Antwort: „Es tut mir leid, Sie haben recht. Das Restaurant befindet sich tatsächlich nicht in der zuvor von mir genannten Straße, sondern (…).“ – Und dabei kann ich Chat GPT ja nicht mal unterstellen, dass es mich veräppeln wollte! Ich könnte unzählige weitere Einblicke in diese Richtung geben.

Manchmal werde ich sogar richtig wütend. Zum Beispiel, als ich wiederholt denselben Fehler bemängelte und Chat GPT sich daraufhin bei mir entschuldigte, nur um dann mit demselben Fehler fortzufahren. Dass Chat GPT dabei grundsätzlich sachlich und ruhig bleibt, ganz egal wie sehr ich im Capslock-Modus rante und wie viele Ausrufezeichen ich nutze, trägt milde formuliert nicht unbedingt zur Besänftigung bei. Möglicherweise saß ich schon wetternd vorm Chatfenster – um kurz darauf zu merken, wie grotesk und letztlich amüsant diese Situation ist, inklusive meines Gefühls, mich für meine Ruppigkeit entschuldigen zu müssen. Bei einem Chat-Bot. Durchaus bemerkenswert, was vorgegaukelte Menschlichkeit bewirken kann. Höflich zu bleiben, macht aber vermutlich dennoch Sinn. Wer weiß, wie sich das alles aufs reale Leben auswirken mag…!

Un’ ‘nu?

Chat GPT wird mich nicht ersetzen. Also… jedenfalls noch nicht. Als ich das schließlich verstanden habe, konnte ich meine Abwehrhaltung aufgeben. Keine akute Bedrohung. Stattdessen Unterstützung bei Blockaden oder „wenns mal schnell gehen muss“. Die Fünf-Minuten-Maschine, von AI ‘ne tolle Idee. Zur Informationsbeschaffung nutze ich nach wie vor lieber direkte, seriöse Quellen.

Die weitere Entwicklung einzuschätzen ist, vor allem für Lai*innen wie mich, schwer bis unmöglich. Auch darüber, ob Anwendungen wie Chat GPT uns aus Technologisierungsgeilheit, Sorglosigkeit und fehlender Demut gegenüber unserer Natur irgendwann zum Verhängnis werden, kann ich nur spekulieren und würde mir damit letztlich lediglich selbst Angst machen.

Der Chat-GPT-Gründer Sam Altman seinerseits twittert von der Übereinstimmung von Atman und Brahman – von Selbst/Seele und Weltseele, zwei uralte „Prinzipien“ des Hinduismus. Gleichzeitig lässt er kaum eine Gelegenheit aus, um die Notwendigkeit zur menschlichen Optimierung zu propagieren, die seiner Ansicht nach bestenfalls in der Verschmelzung mit der künstlichen Intelligenz mündet – während sogar er selbst, wie er sagt, „ein bisschen Angst“ vor künstlicher Intelligenz hat. Ok, cool.

Doch all das obliegt ohnehin nicht meiner Kontrolle – also warum nicht einfach auf die Vorteile konzentrieren, die Chat GPT mir jetzt gerade bietet? Und sollte ich irgendwann doch ersetzt werden: C‘est la vie. Es wird nicht nur mir so gehen. Ich persönlich kann mir das nicht vorstellen. Ich glaube – man nenne mich naiv –, dass wirklich gute Arbeit immer echten, menschlichen Austausch brauchen wird. Wie menschenähnlich manche KIs bereits sind und dass das erst der Anfang ist, blende ich zum Selbstschutz einfach erstmal aus.

Spätestens dann, wenn jeder Arbeitsplatz ersetzt wurde, fangen wir ja eh von vorn an. Oder assistieren den Maschinen. Schau ’mer mal